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Fachstelle Extremismus - und Gewaltprävention

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Medienanalyse


Laudatio für einen Freund
von Georg Häsler Sansano
Zürich 31.10.2016


Einen schnellen Quote gab es noch nie bei Dir. Kein kurzes Statement für den Marktplatz der Empörung. Ein Experte, der den Journalisten hinterfragt. Die Arbeitshypothese und die süffige Geschichte zerzaust – und erst noch irgendwie die Perspektive des „bad guys“ einnimmt. Zum Verzweifeln in der Tagesaktualität.

So habe ich Dich kennengelernt, lieber Sami.

Du hast mich in Gespräche verwickelt, von Symptomatik und Programmatik gesprochen, von Dominanz, von Prävention. Dabei wollte ich einfach eine Stimme, die sagt: Der „bad guy“ ist wirklich ein „bad guy“ und eine Gefahr für unser Publikum. Unser erstes, langes Telefon drehte sich um die arischen Ritter aus Unterseen im Berner Oberland. Das war vor fast fünfzehn Jahren.

Jetzt stehe ich hier und halte eine Laudatio für Dich, chaver.

Eine Laudatio für einen Freund.

Du hast diesen wichtigen Preis gewonnen, weil Du die Menschen gern hast. Weil Du auch den „bad guys“ zuhörst. Weil Du nicht vom Skandal ausgehst, sondern von individuellen Geschichten.

„Comprendre l’histoire de l’autre.“

Patrick Bruel, der französische Rock-Musiker, hat daraus einen Friedensappell komponiert – und kürzlich zusammen mit Musikern aus Israel und Nordafrika auf die Bühne gebracht. Französisch, Hebräisch, Arabisch.

Stark, weil leise. Wie Du, lieber Sami.

Dabei geht es auch darum, Deine eigene Geschichte zu verstehen.

Du bist ein Kind des Holocaust, wie Du Dich selber bezeichnest. Ein Kind jüdischer Eltern, geboren in der Nachkriegszeit, aufgewachsen in Basel. Den Druck der Geschichte hast Du als persönliche Last empfunden. Jüdisches Leben schien Dir nur unbeschwert möglich in Israel. Deshalb gingst Du mit 18 in einen Kibbutz – und später in die Armee. Du wolltest mit der Galil, dem israelischen Sturmgewehr, den jüdischen Staat verteidigen. Damit sich der Holocaust nie mehr wiederholt.

Bis Dir eines Abends auf Patrouille im Westjordanland die palästinensische Felachen aufgefallen sind. Wie friedlich und sorgsam sie ihren Boden pflegten. Was haben mir diese Bauern zu Leid getan, hast Du Dich gefragt – und bist desertiert. Hast Israel – vorerst - den Rücken gekehrt und den Vorsatz gefasst: Ich will nicht auf einen militärisch hoch gerüsteten Staat vertrauen müssen, um Jude sein zu können. Du wolltest vor allem Mensch sein. Einfach ein Mensch mit seiner eigenen, persönlichen Geschichte. Das ist Dein Antrieb, Dich gegen Extremismen aller Couleur und für Gewaltprävention einzusetzen.

„Comprendre l’histoire de l’autre.“

Dein Ansatz sind die individuellen Geschichten. Die Familiensysteme. Der einzelne Mensch. Ob Netz-Nazi, Baby-Punk oder Jihad-Phantast: Du versucht hinter die hässliche Fratze des Extremismus zu schauen. Bleibst hartnäckig im Gespräch.

Du, der feingliedrige Menschenfreund.

Selbst mit dem Djihad-Reisenden Valdet Gashi hieltest Du hartnäckig den Kontakt. Der radikalisierte Kickbox-Weltmeister aus der Winterthurer Islamisten-Szene war längst geschluckt vom irrsinnigen Machtapparat des IS. Trotzdem schicktest Du weiter Whatsapp-Nachrichten nach Syrien – und suchtest nach Regungen des Verstandes im Nebel des totalen Glaubens.

Das Schicksal von Valdet Gashi verbindet uns.

Du hast mich begleitet, als ich für die Rundschau des Schweizer Fernsehens die Geschichte seiner Djihiahd-Reise erzählte. Eine Art Supervision meiner journalistischen Arbeit. Damit die Recherche nicht bloss Schauer und Schrecken auslöst – oder islamophobe Vorurteile befeuert.

Wir wollten die ganze Geschichte verstehen.

So waren wir beide traurig, als uns die Nachricht vom Tod Valdet Gashis erreichte. Wir kannten seinen Bruder, seine thailändische Frau, die beiden Kinder – und Valdets Eltern. Die Menschen hinter der Geschichte. Nolens volens verbunden mit Gashis Entschluss, sich dem IS anzuschliessen.

Ja, es lohnt sich, Dir zuzuhören. Mit Dir zu diskutieren, manchmal auch zu streiten. Dafür braucht es Zeit. Ein rares Gut im Journalismus heute. Ein Privileg – und ein Imperativ in diesen brüchigen Zeiten.

Denn der üble Geruch des politischen und religiösen Extremismus ist dem Morast der Milieus längst entwichen und stinkt unterdessen mitten in der Gesellschaft. Im amerikanischen Wahlkampf dröhnen Chauvinismus und Verschwörungstheorien als politisches Programm. Parolen, die wie Hass-Kommentare aus dem Internet klingen. Wer Fragen stellt, gehört zur Lügenpresse. Wer abweicht, ist ein Verräter. Wenn’s nicht für die Mehrheit reicht, ist das Resultat manipuliert.

Wir brauchen Deine feine Stimme, lieber Sami.

Deshalb bin ich glücklich, dass Du diesen Preis zusammen mit Amira erhältst. Er würdigt Deine, Eure Arbeit für eine freie, offene Gesellschaft. Für einen lebendigen Diskurs über die grundlegenden Werte des Zusammenlebens. Damit nicht schon wieder Menschen ausgeschlossen werden, nur weil sie anders sind als die anderen. Etwas anderes glauben oder das Falsche. Oder weil ihnen die Mehrheit sagt, sie seien anders.

Kennst Du die Katharsis-Szene in Max Frisch’ Andorra? Andri hält den Andorranern - und auch uns den Spiegel vor:

„Seit ich höre, hat man mir gesagt, ich sei anders, und ich habe geachtet drauf, ob es so ist, wie sie sagen. Und es ist so, ich bin anders. “

Das Theaterstück erzählt von der Radikalisierung einer ganzen Gesellschaft. Eine Parabel, die zeigt, dass Antisemitismus – und in einem Atemzug sage ich auch: Islamophobie – nicht aus dem Nichts kommen. Anderssein muss möglich sein. Dafür arbeitest Du, arbeitet Ihr. Deshalb erhält Ihr diesen Preis. Ihr reiht Euch ein in grosse Namen. Flavio Cotti, Dick Marty, Jürg Frischknecht – und jetzt Amira und Sami.

„Comprendre l’histoire de l’autre.“

Du hast auch über Deine eigene Geschichte nachgedacht und Frieden geschlossen mit Israel. Bei der Einreise in Ben Gurion fragte Dich die junge Polizistin: „Wo warst Du so lange?“

Du musstest Dich nicht entscheiden für die eine oder die andere Geschichte.
Diese Erfahrung beseelt Dich. Deshalb lohnt es sich, Dir zu zuhören. Deshalb bist Du mein Freund.

Ich gratuliere Dir zum Fischhof-Preis 2016, Chaver.


Georg Häsler Sansano

 

 

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