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Medienanalyse


«Sie stehen unserem Staat feindlich gegenüber»
«Chaoten», «Bubis», «Idioten» – so werden die Gewalttäter von Medien und Politikern genannt. Extremismus-Experte Samuel Althof Kessler warnt vor Verharmlosung.

15. Dezember 2014
Quelle: 20min
Von G. Brönnimann

Herr Althof Kessler, was ist da in der Freitagnacht auf Zürichs Strassen passiert? Wie soll man diese Gewalt und Zerstörungswut verstehen?
Dazu muss man wohl die Gedanken und die Ideologie, die dahinter steckt, kennen: Jene des Revolutionären Aufbaus. Die gewaltbereiten Personen diese Zuges der Zerstörung – eine Demonstration war das nicht – fühlten sich in ihrem Handeln wohl genau durch diese Ideologie legitimiert: Sie nennen es Gewalt als legitime Gegengewalt.

Gegengewalt gegen Quartierläden? Autos? Das System? Können Sie das etwas näher ausführen?
In einer Flugschrift des Revolutionären Aufbaus aus dem Jahr 2010 heisst es unmissverständlich: «In einer Epoche, in der fast alle revolutionären Traditionen zerrissen sind und eine politisch fundamentale Veränderung kaum vorstellbar ist, ist der Kampf um/auf der Strasse mit seiner Unmittelbarkeit ausserordentlich wichtig ... Der Bruch mit dem Staat muss sich auch im Bereich der Demonstrationen aktiv verwirklichen.» Es ist die Legitimierung von Gewalt gegen den Staat und seine Repräsentanten, aber auch die Wirtschaft. Das heisst in der Praxis: Wenn eine Polizistin beim Einsatz verbrennt, ist sie besser gestorben, als wenn sie zum Beispiel bei irgendeinem Unfall ums Leben gekommen wäre.

Allerdings sprechen Polizei und Politiker von «Chaoten», Medien von «Bubis» und «Idioten», und im Internet kursieren Gerüchte, die Krawallanten seien reiche Goldküstenkids und junge FCZ-Hooligans.
Die Polizei begeht einen Fehler, hier von Chaoten oder Hooligans zu sprechen. Das sind auch oft Szenen, die sich überlappen. Warum soll ein Linksextremer kein Hooligan sein? Und warum soll ein Bankdirektor keiner sein? Entpolitisiert man die politisch, aber mit Gewalt transportierten Botschaften, verliert man die Möglichkeit zum Dialog. Repression ohne Dialogsoption ist eine Einladung zu noch mehr Gewalt. Die Forderung der SVP nach maximaler Repression würde genau dies bewirken und wäre aus meiner Sicht ein Eigentor.

Wie soll man dem Ihrer Meinung nach kontern?
Alle Aussagen, die politischen wie auch die mit Gewalt ausgetragenen, müssen ernst genommen werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dort, wo die Gewalt auftritt, so wie am Freitag, muss man ihr entschieden entgegentreten. Und man muss auch möglichst alle Gewalttäter strafrechtlich verfolgen. Aber es lässt sich nicht diskutieren, wenn man das entpolitisiert. Die aufgeworfenen Fragen wie zum Beispiel der Mangel von günstigem Wohnraum lassen sich nicht durch Gegengewalt lösen. Man muss die politischen Botschaften hören und verstehen, aber gleichzeitig die Gewalt mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen. Politischer Extremismus lässt sich nicht kaputtschlagen.

Die Vorschläge der SVP, jetzt alle besetzten Häuser zu räumen und die Datenschutzgesetze einzuschränken, bringen also nichts?
Überhaupt nichts. Da kocht die Gewalt nur noch mehr hoch. Man muss in der Analyse die Verhältnisse sehen und die Antwort darauf in Relation dazu setzen: Ja, es ist schockierend, was wir gesehen haben. Es waren 200 sehr gewaltbereite Personen. Es waren aber nicht Tausende wie bei den Globus-Krawallen.

Was soll man stattdessen tun?
Ich arbeite seit 20 Jahren in der Gewaltprävention. Meines Erachtens ist der richtige Weg einerseits die konsequente und verhältnismässige strafrechtliche Verfolgung von allen Gewalttaten, aber gleichzeitig soll, wenn möglich, immer die Prävention mit einem besonnenen Dialog, auch wenn die Szene gewaltbereit ist, versucht werden. Niemand hat nur unrecht und genau hier liegt die Möglichkeit zum Verständnis. Man muss diskutieren.

Bringt denn das Diskutieren etwas?
Es kann nützen, ja. Denn nur so kann geklärt werden, dass Gewalt kein akzeptiertes Mittel in der Politik und in unserem Staat ist. Ernst genommen werden ist Teil unserer demokratischen Kultur.

Es geht ja angeblich um Freiräume, gegen die Zubetonierung und Gentrifizierung der Stadt – was zurückbleibt, sind Verletzungen, Scherben und ein Schock.
Ja. Die Botschaft wird durch die Bilder der Gewalt in sich konkurriert – das ist die schlechteste Art, ein Problem zu kommunizieren: Die Gewalt wird damit zum Thema, und nicht das politische Anliegen. Kaum jemand würde etwas Negatives sagen, wenn junge Leute friedlich durch die Stadt gingen, um gegen zu teure Mieten und oder zu knappen Wohnraum zu protestieren. Die Themen sind ja legitim. Unser Staat garantiert innerhalb seiner Gesetze die Freiheit der politischen Willensbekundung.

Geht es diesen Linksextremisten überhaupt darum?
Den extremen Gewalttätern vermutlich nicht: Sie versuchen die Revolution, und zum Glück ohne Erfolg. Sie stehen unserem Staat feindlich gegenüber, sie lehnen ihn ab und sind an demokratischen Lösungen nicht interessiert.

Und in Ihrer Erfahrung: Können Gespräche auch da helfen?
Ja. Aber wenn gewisse Grenzen überschritten sind, wenn der Staat nur noch abgelehnt wird, wenn die Gewalt absolut verherrlicht wird, dann kann ein Gespräch auch kontraproduktiv sein. Das gilt für linke wie für rechte Gewalttäter. Am Freitag hätten Menschen sterben können.

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